Wollen Kinder denn nicht immer, dass ihre Eltern zusammenbleiben oder wieder zusammenkommen?
"Es ist nicht die Liebesbeziehung der Eltern, sondern das vertraute Zuhause, die Familie sowie eine eigenständige Beziehung zu beiden Eltern, die Kinder erhalten wollen."
Anton, Trennungskind, 20 Jahre
„Natürlich wollte ich, dass meine Eltern wieder zusammen kommen! Mann, das war unerträglich. Meine Mom hing total durch, während mein Dad es sich mit seiner neuen Liebe gut gehen ließ! Es war schrecklich. Ich hatte gerade eine tolle WG gefunden, in der ich mich absolut wohl fühlte. Neue Stadt, Studium, nette Leute, feiern bis der Arzt kommt, endlich mein Ding machen – und nun hatte ich auf einmal das Gefühl, ich muss mich um meine Mom kümmern, an den Wochenenden öfter nach Hause fahren. Es war jedes Mal, als ob ich in ein Trauerhaus komme. Überall fehlte mein Vater. Mann, was war ich wütend auf den. Konnte der denn nicht bleiben, wo er verdammt noch mal hingehört?“
Susann, Trennungskind, 32 Jahre
„Eigentlich kenne ich das gar nicht anders, denn meine Eltern haben sich getrennt, als ich noch ganz klein war. Die Situationen, in denen wir als Familie zusammen waren, sind immer noch angespannt. Vielleicht waren sie selbst noch zu jung, keine Ahnung, aber so richtig verarbeitet und gut abgeschlossen haben die ihre Trennung nicht. Mein Vater hat schnell wieder geheiratet und zwei, inzwischen auch schon erwachsene Kinder. Als Kind war ich an den Wochenenden gern bei ihm. Da hatte ich dann das Heile- Familie-Erlebnis. Ich war aber jedes Mal froh, wenn ich wieder zu meiner Mutter zurückkonnte, denn da waren meine Freiheiten, der Raum, den ich zum Atmen hatte, doch wesentlich größer.
Meine Mutter hat meinem Vater, glaub ich, nie wirklich verziehen. Was auch immer es ist. Wenn sie mit mir darüber reden wollte, habe ich abgeblockt. Ich will damit nichts zu tun haben! Ich will inzwischen gar nicht mehr, dass sie aufeinandertreffen. Das ist manchmal echt anstrengend, besonders an Weihnachten, den Feiertagen oder Geburtstagen. Gerade jetzt, wo ich selbst Mutter bin, und alle Großeltern das Baby natürlich regelmäßig sehen wollen. Mein Vater hat schon mehrfach signalisiert, dass er kein Problem damit hat, wenn ich alle zusammen einlade, aber ich will das nicht. Dann lieber alle nacheinander und die Zeit entspannt genießen!“
Anne, Trennungskind, 28 Jahre
„Für mich kam die Trennung meiner Eltern irgendwie überraschend. Ich hab uns immer als tolle Familie empfunden, beinahe bilderbuchmäßig. Meine Familie, das war Geborgenheit, Spaß, gemeinsame Spiel-Abende, Urlaube, Mahlzeiten. Wenn ich heute Fotos aus der Zeit anschaue, in der noch alles ok war, dann werde ich immer noch wehmütig. Es ist einfach total schade, dass meine Eltern sich getrennt haben. Ich habe mir oft gewünscht, ich könnte die Zeit zurückdrehen und alles wäre wieder so wie es immer.“
„Diese drei erwachsenen Trennungskinder haben einen ganz unterschiedlichen Blick auf die Trennung ihrer Eltern. Sie repräsentieren damit unterschiedliche Aspekte, die in verschiedener Ausprägung durchaus auch in einem Kind vorgehen können.
Während Anne der Geborgenheit nachtrauert, die ihre Familie für sie bedeutet hat, spürt Anton in erster Linie die Belastung, sich um seine verlassene Mutter kümmern zu müssen während Susann sich die angespannte Stimmung zwischen den Eltern so eingebrannt hat, dass sie noch heute, als erwachsene Frau und Mutter, Zusammentreffen mit beiden Eltern vermeidet.
Beide Eltern als Paar sind die Wurzeln eines Kindes, und Kindern genießen natürlich das harmonische Zusammensein mit ihnen.
Rein entwicklungspsychologisch betrachtet werden Eltern als Bollwerk des Erwachsenseins mit allen Vorrechten Kindern gegenüber erlebt. Mit dieser Erfahrung gehen Kränkungen einher, die im Kindergartenalter ihren Höhepunkt erfahren. Durch die Erfahrung, aus der elterlichen Liebesbeziehung ausgeschlossen zu sein, lernen Kindern den Unterschied zwischen dem, was es bedeutet, erwachsen bzw. ein Kind zu sein. Und sie erleben die Entlastung, die es für die eigene Entwicklung bedeutet, dass nämlich die Eltern – zumal zu zweit – sich um das Kind sorgen und kümmern – und gegenseitig auch füreinander da sind. In dieser Konstellation machen Eltern ihr Ding, sie kommen ihren Aufgaben nach, und nichts liegt für das Kind ferner, als sich um die Erwachsenen kümmern zu müssen.
Wenn wir an die Bedürfnisse kleiner Kinder denken, daran, wie sehr sie Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit brauchen, dann kann man leicht verstehen, wie verunsichernd Veränderungen erlebt werden können. Kinder lieben und brauchen Rituale, um sich sicher zu fühlen. Je älter sie werden, desto mehr brauchen sie eine verlässliche Beziehung zu ihren Eltern, um sich reiben und schließlich abnabeln zu können.
Verändert sich vertraute Familienkonstellation durch eine Trennung, dann fürchten Kinder und junge Erwachsene, die Sorgepflicht könnte sich umkehren. Sie fühlen sich in einen Loyalitätskonflikt hineingezogen. Und sie fürchten sich vor einer Rollenumkehr, in der nunmehr sie für die Eltern Verantwortung übernehmen müssen.
Es ist nicht die Liebesbeziehung der Eltern, sondern das vertraute Zuhause, die Familie sowie eine eigenständige Beziehung zu beiden Eltern, die Kinder erhalten wollen. Veränderungen im inner circle, in dem, was wir Zuhause nennen, in der intimsten Privatheit sind Kindern nicht geheuer. Das gilt für kleine Kinder genauso wie für Jugendliche in der Pubertät.
Wenn sich Eltern trennen, so stehen hinter dem Wunsch, sie mögen doch zusammenbleiben die Fragen: „Was bedeutet das für mich? Werden wir womöglich umziehen? Muss ich mich dann von meinen Freunden trennen? Werde ich regelmäßigen Kontakt zum anderen Elternteil behalten? Muss ich mich um den zurückbleibenden Alltagselternteil kümmern? Bin ich jetzt der Mann/die Frau im Haus? Diese unterschiedlich stark ausgeprägten Ängste und Unsicherheiten beziehen sich also nicht ausschließlich auf die Eltern als Paar, sondern auf die Veränderung in der Familienkonstellation.
Doch Achtung:
Wenn Kinder häufig und explizit den Wunsch äußern, die Eltern mögen sich doch vertragen und wieder ein Paar sein, dann kann das auch ein Hinweis auf eine Parentifizierung sein. Das würde bedeuten, sie nehmen die Verletzung oder den Wunsch – häufig des Elternteils, der verlassen wurde – sensibel wahr und machen sich zu dessen Sprachrohr. Damit drücken sie aus, dass sie sich für diesen – vermeintlich schwächeren – Elternteil verantwortlich fühlen – und damit sind Kinder jeden Alters überfordert!“