Mein Kind – dein Kind?
"Du respektierst meine Leistung als Mutter/Vater eines Kleinkindes nicht!"
Wir müssen uns doch absprechen! Kai kann doch nicht einfach hier aufkreuzen, wann es ihm passt! Gestern hat er mir eine Riesenszene gemacht, als wir uns ohne jede Vorankündigung oder Absprache unten vor der Haustür begegnet sind. Ich wollte mit dem Kleinen (3J.) schwimmen gehen. Wir hatten uns mit Freunden aus dem Kindergarten am Badesee verabredet.
Was mir einfiele, blaffte er mich vor dem Kind an. Ich wisse doch genau, dass sein Schichtplan ihm heute einen freien Nachmittag beschere. Woher soll ich bitte schön seinen Dienstplan kennen?! Wenn ich mitdenken würde und nicht immer nur seine Beziehung zu seinem Kind sabotieren wollte, dann wüsste ich das und würde nicht ausgerechnet an diesem Tag mit Lasse unterwegs sein.
Dann hat er mir mit dem Jugendamt gedroht und mit dem Anwalt. Schließlich hätten wir das gemeinsame Sorgerecht, und da müsse ich mich mit ihm abstimmen. Leider sieht das, was Kai unter „abstimmen“ versteht, vor, dass ich mich komplett nach seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten richte, doch das kann ich ihm nicht begreiflich machen.
Er sagt, ich hätte schon den ganzen Alltag mit Lasse und außerdem zahle er ja nicht unerheblichen Unterhalt, da sei es ja wohl selbstverständlich, dass ich ihm den Umgang mit seinem Sohn ermögliche, wenn er das wünsche.
Lasse fing dann an zu weinen. Ich stand da wie gelähmt, Kai außer sich vor Wut.
Schließlich habe ich Lasse auf den Arm genommen und bin zu meinem Auto geflüchtet. Ich kam mir vor wie eine Verbrecherin als ich Richtung Badesee losgefahren bin.
Später habe ich Kai eine SMS geschrieben. Ich habe ihn gebeten, dass wir verbindliche, regelmäßige und zuverlässige Absprachen treffen, damit zukünftig solche Szenen vor Lasse vermieden werden.
Das war vor zwei Tagen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.
„Wie uns die Geschichte vom Augsburger Kreidekreis (s. S.194 „Mit Kindern durch die Trennung…“) zeigt, brauchen nicht nur Kinder ihre Eltern, auch Eltern betrachten ihre Kinder als einen Teil ihrer Identität, als sich einander zugehörig.
Gerade bei sehr kleinen Kindern verlangt ausgerechnet eine Situation, in der es naturgemäß phasenweise so schwerfällt, miteinander zu reden nach Absprachen und die Sicherheit, vom anderen als dem Kind zugehörigem Elternteil respektiert zu werden. Eine Situation, in der das Vertrauen in den anderen so stark enttäuscht wurde, verlangt danach, dem anderen das Kind, die Kinder anzuvertrauen. Da hilft wirklich nur, den Blick nach innen auf das eigene Selbstverständnis und auf die Bedürfnisse des Kindes zu konzentrieren. Je jünger Kinder sind, desto größer ist ihr Bedürfnis nach Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit. Da, wo etwa – wie im Fall des obigen Vaters – Schichtdienst einen festen Betreuungstag unmöglich macht, können Rituale diese Regelmäßigkeit bewirken. Bei einem Kleinkind etwa, kann dies bedeuten, dass der räumlich getrennte Elternteil regelmäßig gemeinsame Ausflüge zu einem nahegelegenen Spielplatz unternimmt, das Kind badet, vertraute Spiele spielt oder vorliest. Wichtig ist nicht die Häufigkeit, sondern die Regelmäßigkeit, die Verlässlichkeit sowie die Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit.
Im strittigsten Falle stehen sich Eltern in der Phase, in der sie sich Abstand zum Ex-Partner wünschen, mit den Positionen Mutter: „Du respektierst und anerkennst meine Leistung als Mutter eines Kleinkindes nicht, sonst würdest du nicht einfach kommen und gehen, wie es dir passt!“ Und Vater: „ Du respektierst meine Leistung als Vater nicht, sonst würdest du mich hier nicht so ausschließen und bestimmen, wann ich mein Kind sehen kann! Du brauchst ja auch niemanden darum zu bitten, Zeit mit unserem Kind zu verbringen!“ gegenüber.
Im obigen Fall haben sich die Eltern darauf geeinigt, dass der Vater entweder am Dienstag oder am Mittwoch Zeit mit dem Kind verbrachte. Sobald er seinen Dienstplan hatte, machte er ein Foto und schickte ihn an seine Ex-Partnerin. Aus „Was geht sie mein Dienstplan an?“ wurde „Ich möchte Zeit mit Lasse verbringen. Das ist mir an folgenden Wochentagen möglich, bitte stell dich darauf ein.“ Und aus „Du kannst hier nicht einfach so reinschneien, wie´s dir passt!“ wurde „Ok, dann bringe ich Lasse an diesen zwei Dienstagen in diesem Monat zu meiner Mutter, damit ich regelmäßig zum Yoga gehen kann.“ Was so einfach klingt, ist für Trennungseltern von kleinen Kindern eine der schwersten Übungen, nämlich die Realität der Lebensumstände und die Persönlichkeit des jeweils anderen so akzeptieren, wie sie sind. Akzeptieren heißt nicht gutheißen, sondern zur Kenntnis nehmen und zu wissen, dass dies mittelfristig ist wie´s ist.
Den anderen nach den eigenen Wünschen zu verändern, das hat schon in der Paarbeziehung nicht geklappt, wieso sollte es dann ausgerechnet nach der Trennung gelingen?“